Auf ein Selfie nach Düsseldorf
Asylbewerber aus Paderborn mit Landtagspräsident Kuper: „Politik heißt nicht, dass einem alle zujubeln.“ (Foto: Landtag NRW; Bernd Schälte)
Florian Pfitzner
Lustig wird es am Ende. Wenn man es schon mal in den Sitzungssaal eines Parlaments geschafft hat, kann man sich gleich hinterm Redepult fotografieren lassen, finden einige der Asylbewerberinnen und Asylbewerber aus Mülheim und Paderborn, die zur „Demokratieschule“ des Landtags angereist sind. Der Präsident des Hohen Hauses, André Kuper, steht sogar für Selfies bereit.
Vorher hat er die großen Fragen des Gemeinwesens aufgeworfen. Welche Grundwerte stehen für eine Demokratie? Wie funktioniert sie in Nordrhein-Westfalen? Welche Rechte und Pflichten gelten grundsätzlich in einem Rechtsstaat?
„Vielleicht haben Sie das Wort Föderalismus schon einmal gehört“, sagt Kuper und schaut erwartungsvoll in die Abgeordnetenbänke, auf denen nun Migranten aus Vietnam, Syrien und Afghanistan sitzen. Es sind freundliche, überwiegend junge Gesichter. Obwohl erst zwei, drei Jahre im Land, sprechen einige der Männer und Frauen hervorragend Deutsch.
Ornina Marma aus Al-Hasaka im Nordosten Syriens hat sich gerade für den Referenzkurs B2 angemeldet. Die 23-Jährige lebt mit ihrer Familie in Paderborn. Betreut wird sie von der ortsansässigen Stiftung Bildung & Handwerk (SBH). Ihr Traumberuf sei Polizistin, erzählt Marma. Zunächst aber habe sie ein Praktikum bei einem Zahntechniker gemacht. Gefiel ihr gut, möglicherweise darf sie bald mit der Berufsausbildung anfangen.
Von Föderalismus hat sie noch nichts gehört. Kuper erklärt grob, was es damit auf sich hat. Im Gegenzug fragen ihn seine Gäste, wie man Politiker wird. Grundlegend sei es „wichtig, an das Gemeinwohl zu denken“, entgegnet er, „sich also für andere zu engagieren, nicht nur für sich selbst“. Man müsse sich informieren, überzeugen und kompromissfähig bleiben. Politik heiße nicht, „dass einem alle zujubeln“.
Yehya Aldagheem ist 2015 aus Idlib im Nordwesten Syriens über die Balkanroute nach Europa gekommen. Zu Beginn lebte er eine Woche in der ehemaligen Siegerlandkaserne in Burbach. „Zum Glück nur eine Woche“, sagt er. Die Notunterkunft war bereits vor der großen Flüchtlingsbewegung in die Schlagzeilen geraten, weil Wachleute einer Sicherheitsfirma einzelne Bewohner quälten.
Aldagheem macht heute ein Praktikum bei einem Paderborner Bauunternehmen. Der 22-Jährige fragt Präsident Kuper nach den Leuten, die den Landtag gerade über Stunden mit einem Guerilla-Protest auf Trab hielten. Er meint die Aktivisten einer Klimaschutzbewegung. Mit der Frage hat Kuper nicht unbedingt gerechnet. „Nun“, sagt er und überlegt. „Einigen geht es nicht schnell genug mit dem Kohleausstieg.“ Gegen Gesetze dürfe man trotzdem nicht verstoßen.
Auf dem Rückweg im Regionalexpress nach Paderborn wirken die Erlebnisse nach. Den netten Herrn Kuper kannten sie aus der Vorbereitung, sagt die Dozentin Bettina Schmidt-Wichmann. „Unsere Gruppenmitglieder haben sich wahnsinnig gefreut.“ Vor allem über die Geduld, die der Präsident bei den Fragen aufgebracht habe – und natürlich über die Selfies.